Gelb voraus und Grün vorgeschrieben


Manche Grüne werfen Christian Lindner jetzt mangelnden Patriotismus vor. Sie gehören zu genau der Partei, in der „Patriot" noch immer eher Schimpfwort als Auszeichnung ist.

Vielleicht hat Christian Lindner ja auch aus Überzeugung gehandelt, nur dass uns Überzeugungen nach über einem Jahrzehnt Merkel-Regierung fremd geworden sind. Die Grünen sind nicht nur, aber auch eine autoritäre Verbotspartei, die dazu aufruft, den Nachbarn zu denunzieren, wenn er sich das Bad schick fliesen lässt („Luxussanierung"). Dass Menschen die Fliesen in ihrem eigenen Bad nicht frei wählen sollten, ist eine Überzeugung, die man haben kann – bloß passt sie nicht zur FDP, hat sie nie. Wie sollten sich Lindner und Trittin je darüber einigen, ob man durch das Nistgebiet eines seltenen Vogels Glasfaserkabel für schnelleres Internet verlegen darf?

Jamaika erinnert uns daran, was wir in der Politik leider vergessen haben: Es kann richtig sein, sich nicht einigen zu können.

An Schäbigkeit nicht zu überbieten war das Verhalten der SPD in den letzten Wochen. Minuten nach dem Wahldebakel stahlen sich die Sozialdemokraten aus der Verantwortung, weil es angeblich keinen „Wählerwillen" zur erneuten Großen Koalition gibt, die es im Parlament auf 53,4 Prozent bringen würde. Auf Twitter feierten SPD-Abgeordnete das Scheitern von Jamaika mit Popcorn-Emoticons: Hurra, das Land hat keine Regierung.

CDU und Grüne halten nächtliche Pressekonferenzen ab, bei denen noch jeder Unterunterunterhändler mit ins TV-Bild will, um dann ergriffen das eigene Scheitern zu beklatschen.

Warum haben sich Politiker und Wähler so entfremdet? Ganz einfach: Im Rest des Landes wird geklatscht, wenn etwas gelingt, im Berliner Regierungsviertel einfach immer.

Quelle: Kommentar, Bild, Julian Reichelt, 21.11.2017