Stromversorger bremsen BMW i3: "Die Ladesäule, an der Sie stehen, gibt es gar nicht"

Ein Wochenende mit dem BMW i3 in Hamburg: Was als elektromobiles Erweckungserlebnis geplant war, endet als Odyssee. Schuld ist nicht das beeindruckende Fahrzeug, sondern die Ignoranz der Stromversorger. Protokoll eines kollektiven Versagens.


Hamburg - Alles fängt so gut an. Lautlos gleitet der BMW i3 aus dem weißen Lastwagen, der ihn nach Hamburg gebracht hat. Die orangefarbene Carbonkarosserie glänzt im Sonnenlicht. Die knuffige, beinahe kugelartige Form lockt gleich Passanten an. "Ist das Eurer?", fragen zwei Handwerker. Für die Neugier gibt es gute Gründe. Der BMW i3 ist das erste moderne Serienfahrzeug aus deutscher Produktion, das konsequent als Elektroauto konzipiert ist - ein Stück automobiler Zeitgeschichte. Der Wagen schwebt souverän durch die Stadt und vermittelt dem Fahrer jederzeit das Gefühl, technisch und - je nach Geschmack - ästhetisch weit vorn dabei zu sein. Umso ärgerlicher, dass dem Fahrer im weiteren Verlauf der Testfahrt zunehmend Mitleid zuteil wurde. Das hat wenig mit dem Wagen selbst zu tun, als mit den beschämenden Situationen, in die geraten kann, wer das Auto mit Strom betanken möchte. Dieses Unterfangen stellte sich als nahezu unmöglich heraus, und das ausgerechnet in Hamburg - einer Stadt, die der Elektromobilität offiziell einen hohen Stellenwert beimisst.


"Der Vorgang dauert etwa zehn Tage"


Teil eins der Odyssee beginnt am Tag vor der Testfahrt mit dem Versuch, eine Ladekarte der örtlichen Versorger Vattenfall und Hamburg Energie für deren Stromtankstellen zu bekommen. "Tut mir leid, dieser Vorgang dauert etwa zehn Tage", heißt es bei beiden am Telefon. Zehn Tage? Was macht ein Auswärtiger, der mit seinem Elektroauto spontan ein Wochenende an der Elbe verbringen möchte oder auf der Durchreise ist? Die Säulen der wichtigsten Autostromanbieter kann er jedenfalls nicht nutzen. Bleiben Eon Chart zeigen und RWE Chart zeigen. Eon betreibt laut dem Portal "Plug Finder" eine Säule in Hamburg, RWE etwa zehn. Bei Eon heißt es am Telefon, alle erforderlichen Informationen zum Laden seien an der Säule vermerkt. Näheres kann die Mitarbeiterin nicht sagen, die Unterlagen befänden sich "ganz weit unten in meinem Stapel". RWE verspricht auf seiner Homepage, Autofahrer könnten den Strom per SMS bezahlen. Mit knapp vier Euro pro Stunde ist das nicht billig - für das Geld gibt es maximal elf Kilowattstunden Strom - doch scheint das die Rettung zu sein. Auch für die Vattenfall-Säulen gibt es plötzlich noch Hoffnung: Nach einem Hilferuf stellt die Hamburger BMW-Niederlassung eine Probe-Ladekarte zur Verfügung.


Vattenfall: Ladeversuch scheitert an der Bürokratie


Also: Die Laufräder der Kinder in den Kofferraum (passen genau hinein), der Rest der Familie in den Wagen und los geht's. Ziel ist das Haus des Kollegen Arvid Kaiser. Er wohnt knapp 60 Kilometer entfernt. Er und seine Frau sind überzeugte Erdgasauto-Fahrer, was interessante Gespräche verspricht. Der Bordcomputer zeigt eine Restreichweite von etwa 70 Kilometern an. Da nicht klar ist, ob es beim Kollegen eine Steckdose gibt, an der sich der i3 laden lässt, braucht das Auto dringend ein paar Kilowattstunden in die Batterie. Gut, dass Vattenfall eine Ladesäule in bester Alsterlage vorhält. Doch aus dem Samstagsspaziergang am Wasser wird nichts. "Vorgang derzeit nicht möglich. Wir bitten um Verständnis", heißt es auf dem Display. Nein, dafür haben wir kein Verständnis. Die Karte sei noch nicht freigeschaltet, heißt es an der Hotline. "Könnten Sie die Karte dann bitte jetzt freischalten"? "Das geht nur montags bis freitags. Da kann ich nichts machen." Im Flyer, dem die Karte beigelegt ist, steht nichts von einer Freischaltung. Frustrierend - gleich der erste Ladeversuch scheitert also an der Bürokratie. Ein Armutszeugnis für einen Energieversorger, der ein neues Geschäftsfeld erschließen möchte. Vielleicht sollte sich Vattenfall einmal bei Esso oder Shell erkundigen, wie sinnvoll es ist, Kunden an der Tankstelle ein paar Tage zu vertrösten.


Ob RWE sich geschickter anstellt?


Ob RWE sich geschickter anstellt? Die Idee, den Strom per SMS zu bezahlen, klingt erfrischend einfach. Sechs Kilometer sind es bis zu einer Säule an der Amsinckstraße. Außer dem blauen Logo des Essener Energiekonzerns prangen die Buchstaben "ADAC" darauf, was immer das verheißen mag. Doch SMS hin oder her - die blaue LED-Leuchte will einfach nicht anzeigen, dass Strom fließt. Was sagt RWE dazu? Um nähere Auskunft geben zu können, benötigt der Mitarbeiter die Nummer der Ladesäule, sie lautet BA-0926-3. Am anderen Ende der Hotline wird es für einen Moment sehr leise. Dann ist der RWE-Mann wieder da, und seine Botschaft überrascht: "Die Ladesäule, an der Sie stehen, gibt es gar nicht". Zumindest in seinem System sei sie nicht verzeichnet, vielleicht handele es sich um ein ganz neues Exemplar. Weiterhelfen könne er leider nicht, zumal die RWE-Säulen in der Umgebung belegt seien. Die Stimmung im Auto schlägt langsam um. Kaffee und Kuchen beim Kollegen Kaiser scheinen unerreichbar weit entfernt. Vielleicht kann doch noch der städtische Versorger Hamburg Energie helfen? In einem Internetforum hieß es, mitunter würden die Mitarbeiter der Geschäftsstelle Autofahrer ohne Ladekarte auf Kulanz Strom tanken lassen. Also gut: Besser Strom erbetteln als unterwegs liegenbleiben. Doch vor dem Haus von Hamburg Energie und Hamburg Wasser an der Binnenalster der nächste Dämpfer: Der Stellplatz für Elektroautos ist von einem "Verbrenner" zugeparkt - und es ist ausgerechnet ein Fahrzeug des Versorgungsunternehmens! Effektiver lassen sich potentielle Kunden kaum abschrecken. Zudem ist niemand mehr da, der die Säule aktivieren könnte.


Rettet Eon die Ehre der Energieversorger?


Die Kaffee-Verabredung beim Kollegen Kaiser ist inzwischen geplatzt. Es sind bereits etwa anderthalb Stunden mit der Ladesäulen-Suche vergangen. Aufgrund der weiter sinkenden Reichweite erscheint es auch zu riskant, den Weg anzutreten. Dennoch soll auch Eon eine Chance bekommen. Rettet der Düsseldorfer Versorger die Ehre der Energiekonzerne? Hatte die Mitarbeiterin am Vortag doch Hoffnung auf einen unkomplizierten Ladevorgang gemacht. Die Stromtankstelle an einer viel befahrenen Ausfallstraße weckt zunächst Vertrauen. Ein Dach schützt Autofahrer vor Regen, die rote Säule ist schnell zu erkennen. Sie ist jedoch nicht ganz einfach zu erreichen, da sie auf einer Art Podium steht. Eine gut 20 Zentimeter hohe Stufe trennt den Ladeplatz von der Straße. So muss sich der Fahrer der Säule über eine kleine Rampe in einer Kurve nähern. Oben dann die Enttäuschung: Das Laden ist nur zu den Öffnungszeiten des Eon-Ladengeschäfts nebenan möglich, also nicht am Samstagnachmittag. Angesichts dieser ärgerlichen Information kann es passieren, dass die Stufe zwischen Stromtankstelle und Straße in Vergessenheit gerät - zumal sie weder für die elektronischen Warnsystem noch das menschliche Auge zu erkennen ist.


Gefährliche Falle an der Tankstelle von Eon


So wird die Stufe beim rückwärts Ausparken (das erforderlich ist, weil der Weg nach vorn durch ein parkendes Auto versperrt ist) zur Falle. Quietschend setzt sich der Unterboden des i3 auf die Kante, dabei reißt es die Schraube eines Blechs heraus. Sofort richten sich die Blicke der Fußgänger auf den Wagen, und das ist in diesem Fall gar kein gutes Gefühl. Auch wenn sich das Fahrzeug aus eigener Kraft befreien kann und der Schaden überschaubar ist, wie sich später herausstellt - allerspätestens jetzt ist der Moment erreicht, von dem an das Verlangen nach einem "normalen" Auto wächst. Welcher "normale" Tankstellenbetreiber würde eine solche Zufahrt zu seinen Zapfsäulen ersinnen? Und welche Behörde würde sie genehmigen? Nach 24 Stunden mit dem i3 von BMW Chart zeigen ist jedenfalls klar: Selbst Bertha Benz hatte 1888 wohl weniger Probleme mit dem Nachtanken, als sie mit dem Benz Patent-Motorwagen die erste automobile Fernfahrt unternahm und an einer Apotheke Benzin kaufte.


Radius ohne Ladesäulen halbiert


Die Stromanbieter haben bisher kein Konzept gefunden, Elektroautos im öffentlichen Raum komfortabel mit Strom zu versorgen. Offenbar erwarten sie nicht viel von dem Geschäft, sonst würden sie ihre Kunden nicht so konsequent vergraulen. Tatsächlich ist der Stromanschluss in der eigenen Garage für Fahrer von Elektroautos am wichtigsten; das zeigen zahlreiche Untersuchungen aus den USA, wo bereits knapp 100.000 Batteriefahrzeuge im Jahr verkauft werden. Und doch könnte ein funktionierendes Netz von Ladesäulen die Attraktivität von Elektroautos deutlich erhöhen. Wer ausschließlich zu Hause laden kann, hat nur einen Aktionsradius, der halb so groß ist, als wenn es am Zielort eine funktionierende Stromtankstelle geben würde. Im Fall des i3, bei dem die Reichweite konservativ veranschlagt etwa 120 Kilometer beträgt, heißt das: Wer in Lübeck wohnt, kann bei einem Ausflug nach Hamburg (Entfernung: 70 Kilometer) nicht sicher sein, wieder nach Hause zu kommen. Gibt es eine funktionierende Ladesäule, ist es kein Problem.


Energieversorger nutzen Trend nicht


Vermutlich sind die derzeitigen Schwierigkeiten Kinderkrankheiten. In den USA sind Parkplätze an Supermärkten und Flughäfen häufig bereits vollgepflastert mit Ladesäulen, und Autobauer Tesla Chart zeigen baut ein Netz von kostenlosen Schnellladesäulen zwischen großen Städten. Dennoch wirkt das Vorgehen der Versorger in Deutschland erschreckend unprofessionell. Für sie hält die Zukunft vermutlich nicht viel Schönes bereit. Ihre Kraftwerke werfen immer weniger Gewinn ab, Bürger und Firmen produzieren Elektrizität zunehmend selbst, zudem dürften die steigenden Temperaturen mittelfristig den Gas- und Wärmemarkt stark belasten. Einer von ganz wenigen großen Trends, von denen die Versorger profitieren könnten, ist die Elektromobilität. Doch offenbar reicht ihre Kraft schon jetzt nicht mehr für die erforderlichen Investitionen, die ihnen langfristig ein gutes Geschäft versprechen. Für Fahrer eines so innovativen Autos wie dem i3 ist das einfach nur schmerzlich. Die Zeit für den Wagen ist in Deutschland offenbar noch nicht reif.


(Quelle: Von manager-magazin.de-Redakteur Nils-Viktor Sorge, http://www.spiegel.de/)