„Manche fühlen sich wie Flüchtlinge im eigenen Land“


Stephan Grünewald, Psychologe und Buchautor („Psychologie einer aufgewühlten Gesellschaft")
  • Deutschland verfällt zunehmend in einen Zustand der Gereiztheit, der Ungeduld, der Aufwühlung. Jeder spürt das bei Twitter oder Facebook, in Talkshows oder im Straßenverkehr zwischen Auto- und Fahrradfahrern. Die Republik scheint am Limit.
  • Während der deutschen Teilung definierten sich DDR und Bundesrepublik zu großen Teilen als Gegenentwurf zu „denen da drüben". Heute suchen die Menschen dieses Selbstverständnis stärker über Abgrenzungen innerhalb der Gesellschaft.
  • Gerade weil es uns Deutschen gut geht wie selten zuvor – wenige Arbeitslose, brummende Wirtschaft, gute Sozial- und Medizinversorgung – erscheint den Deutschen die Zukunft als Drohkulisse: Flüchtlingskrise, Terror, Islamismus, Globalisierung, Digitalisierung.
  • Viele wünschen sich eine Art permanenter Gegenwart. Angela Merkels Raute ist dafür das Sinnbild. Die Politik soll einerseits Konstanz und Sicherheit vermitteln, aber auch eine Zukunftsvision erarbeiten, die Menschen begeistert.
  • Aber exekutiert Politik – angeblich alternativlos und ohne öffentliche Debatte – ihre Agenda (Flüchtlingskrise, Atomausstieg, Homo-Ehe, Ende des Wehrdienstes), dann hinterlässt sie Narben und Kränkungen. Menschen ziehen sich zurück oder agitieren teils aggressiv.
  • Kern der Wahrnehmung im Internet sind der Islamismus und ein neu aufkommender Nationalsozialismus. Viele besorgte Menschen aus dem bürgerlichen Lager fühlen sich vom Islamismus bedroht, fürchten, nicht mehr Herr im deutschen Haus zu sein. Sie projizieren alles Schlechte auf Fremde, Zuwanderer, den Islam.